Ich glaube, dass hat jeder schon mal von jemandem in seinem Leben gehört. Bei mir war dieser jemand meine Mama. Rückblickend betrachtet, war meine Kindheit auch “sehr special”.
Ich wuchs in einer augenscheinlich, perfekten, vierköpfigen Familie auf, die man so nur aus einer Persil Werbung kennt. Ich hatte einen Vater, der morgens zur Arbeit ging, eine Mutter, die sich um den Haushalt kümmerte, und einen jüngeren Bruder, mit dem ich im Garten rumtoben konnte. Eine kleine behütete Familienidylle, in einem noch kleineren verschlafenen Dorf in Unterfranken.
Meine Mutter war jemand, der ich immer sein wollte. Sie hatte lockig, schwarzes Haar, dass mir in der Nase kitzelte und sie roch wie das Feld hinter unserem Haus, dass von Wildblumen durchwebt war. Für mich war sie die schönste Frau auf der ganzen Welt und wenn sie mir sagte, dass ich etwas besonderes sei, glaubte ich ihr das selbstverständlich auch. Denn irgendwo, war da auch etwas wahres dran. Mama sah nicht aus wie die anderen Frauen im Dorf und die Kinder die ich zum spielen traf, erst recht nicht wie ich.
Am liebsten mochte ich es, wenn sie meinem Bruder und mir vor dem Schlafengehen eine ihrer erfundenen Abenteuer Geschichten von Superman erzählte. Wir lauschten ihr immer ganz andächtig und riefen wie im Chor mehr, wenn sich die Geschichte dem Ende neigte. Sie lachte dann immer und küsste meinen Bruder und mich über das ganze Gesicht, bevor sie sich aus dem Zimmer schlich.
Das waren die Zeiten in denen alles perfekt schien. Doch irgendwann wurde Mama traurig und ich sah sie dafür nun öfter weinen. Besonders am Abend, wenn sie glaubte mit ihren Sorgen alleine zu sein. Wenn ich wieder mal nicht einschlafen konnte und Papa bis spät abends “arbeitete”, schlich ich mich ab und zu von meinem Kinderzimmer die Treppe hinunter in Richtung Küche. Von dort hatte ich einen direkten Blick in das Esszimmer. Was ich dort beobachtete, war immer dasselbe Bild. Meine Mutter weinend am Esszimmertisch, ihre Gäste, ein paar leere Bierflaschen. Am nächsten Morgen war meine Mutter dann extrem launisch und wenn mein Papa sie zum Abschied küssen wollte, zog sie angewidert ihren Kopf weg.
Es war anscheinend nicht wirklich ein Geheimnis, dass mein Vater ein Frauenheld war. Später wurde mir klar, die Nächte, an denen meine Mama weinend und betrunken am Esszimmertisch saß, saß auf meinem Vater eine andere Frau.
Ich glaube schon, dass mein Vater, in seiner Art und Weise, keine andere Frau mehr liebte als meine Mutter. Denn jedes Mal wenn er von ihr erzählte, formten sich seine Lippen zu einem schelmisch, spitzbübischen, aber warmen Grinsen und er schwelgte in der Vergangenheit, die sich vor unserer Zeit abspielte.
Er erzählte immer Stolz von dem Tag, an dem sie zum ersten Mal mit ihrem prollig, roten Auto ins Dorf rauschte und seine Freunde aus dem Staunen nicht mehr rauskamen.
Auf ihrem Beifahrersitz eine Flasche Whiskey und ein Katzenbaby. Sie liebte Katzen. Und mein Vater liebte es, mit seinen Pussys anzugeben. Eine weitere Trophäe für sein Ego. Kein Wunder, sein Name war Egon und sie war eben anders. Exotisch eben.
Meine Mama war wie ein ganz besonderer Singvogel, den mein Vater gefangen und in einen goldenen Käfig sperrte. Die lebenslustige und selbstbewusste Frau, die in ihrem Leben bereits viele Länder gesehen hatte, war auf einmal Mutter von zwei Kindern, gefangen in einem 700 Seelen Dorf, wo so gut wie niemand ihre Sprache sprach und ihr Ehemann stutzte ihr Stück für Stück die Flügel.
Meine Mutter war unglücklich. So unglücklich, dass wir eines Nachmittags nach Hause kamen und sie verschwunden war. Im Flieger Richtung Amerika. Ich glaube mein Bruder und ich waren zu dieser Zeit nicht älter als fünf Jahre und zu jung, um zu verstehen, warum unsere Mutter die Flucht ergriff. Was ich aber verstand, war, dass sie nicht mehr so schnell zurück nach Deutschland kommen würde.
An diesem Abend gingen wir hinter das Haus, hinaus auf das Feld und mein Vater machte ein Lagerfeuer. So saßen wir da, die drei Musketiere. Er hielt uns in seinen Armen und ich blickte hoch in sein Gesicht. Das war das erste Mal dass ich meinen Vater weinen sah. Das Feuer knisterte und die Sterne erstreckten sich über den dunklen Horizont, während Tränen über Papas Gesicht rollten.
Comments