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Autorenbildhanna.goldfisch

TV addiction & Guilt 08/21

Aktualisiert: 1. März 2023

Ich beende die letzte Folge von Friends, klappe meinen Laptop zu und eine unendliche Leere breitet sich in mir aus. Jeder, der das liest, versteht hoffentlich, wie ich mich fühle.



Die letzten Wochen habe ich einfach unnormal viel Zeit damit verbracht, vor meinem Laptop zu verfaulen und meinen Serienhelden beim „Leben" zuzusehen. Eigentlich wollte ich nur für ein paar Stunden aus meinem Alltag ausbrechen, aber daraus wurden Tage und sieben Staffeln später, fühle ich mich, als hätte man meine letzten verbleibenden Hirnzellen frittiert. Meine Augen sind müde, die Konzentrationsfähigkeit hat sich schon zwei Episoden früher verabschiedet, aber eine Folge geht noch, oder?!



Friends ist die pure Darstellung von Happy Endings. Ich will einfache Schonkost, eingepackt in Watte. Ich will nichts, was meinen Kopf anstrengt. Ich will nicht nachdenken. Deswegen liebe ich es, alte Serien immer wieder aufs neue anzusehen. Denn ich kenne bereits die Charaktere und ihre nichtigen Probleme. Jede Folge ist berechnend, es gibt ihn nicht, den bösen Überraschungsmoment, der mich aus dem Hinterhalt überfallen könnte. Dieses Binge Watching und die Sucht nach dem nächsten Endorphinschub im Netflix Abo für 9,90 im Monat hält mich allerdings davon ab, mein eigenes Leben zu leben.


Diese neu dazu gewonnene Erkenntnis, gibt mir neben dem Gefühl der gähnenden Leere, jetzt auch noch ein schlechtes Gewissen on top. Einfach großartig. Ich sitze auf meinem Bett und stelle mir die Frage, warum ich so viel kostbare Lebenszeit mit einem unnötigen Serienmarathon verschwendet habe. Mir wird klar, Leben ist definitiv nicht vergleichbar mit einer Folge von Friends. Vor allem dann nicht, wenn man erwachsen ist. Aber ich brauche einfach solche Momente, in denen ich den Off- Button drücke, um zum Beispiel für einen Tag das Schreiben meiner Krankenkasse zu ignorieren, bei der ich seit gestern knapp den Höchstbeitrag zahlen muss.

Ich bin seit zwei Monaten 34 Jahre alt und frage mich, wann genau mein Leben so erwachsen geworden ist. Ich sehne mich nach der Zeit zurück, als ich noch jung und naiv durch die Welt getölpelt bin. Mein Leben war ein großer Abenteuerspielplatz, wo die Möglichkeiten unendlich schienen und mir alle Türen offen standen. Ich hatte ja Zeit… bis jetzt. Leider kann ich mich nicht mehr auf den Gedanken ausruhen, dass ich mein ganzes Leben noch vor mir habe. Mein Alter bedeutet Halbzeit und vor allem eins, die richtigen Entscheidungen zu treffen.



Ich kämpfe mich aus dem Bett, schlurfe deprimiert ins Badezimmer, schaue in den Spiegel und erschrecke mich mal wieder, über mein Erwachsenes gegenüber. Wie jeden Tag begutachte ich ausgiebig mein Gesicht und untersuche es auf Falten und weiße Haaren. Heute finde ich nicht viel, außer die vertrauten Linien um meine Mundwinkel. Auch schön. Ich denke automatisch an meine Eltern, die immer extreme Probleme mit dem alt werden hatten. Langsam verstehe ich auch warum. Denn während du dir beim körperlichen Verfall zusiehst, bist du gleichzeitig zwanghaft damit beschäftigt, die Sorgen und Probleme unserer krankhaft, komplexen Welt zu lösen. Dabei wird die Frage nach deiner eigenen Bestimmung immer lauter.


Mit sechzehn, dachte ich, dreißig ist die Steinzeit. Ich belächelte Ü30 Partys und fand es komisch, wenn Leute in dem Alter immer noch auf die Kacke hauen. Die Zeit hat mich allerdings eines besseren belehrt. Mittlerweile bin ich eine von den „komischen Ü-30ern” und lebe immer noch in einer Wohngemeinschaft mit meinen besten Freunden. Während andere in meinem Alter, Häuser bauen, heiraten und Kinder zur Welt bringen, frage ich mich immer noch, wie die Streifen in die Zahnpasta kommen. Verrückte Welt.


Irgendwie dachte ich immer, dass ich Mitte dreißig ganz wo anders im Leben stehe. Tatsächlich suche ich aber immer nur nach Ausreden, um mein Peter Pan Syndrom zu entschuldigen. Ich habe keine Ahnung ob ich Kinder will, ich weiß nicht, wo ich mich in zehn Jahren sehe, denn ehrlich gesagt habe ich schon genug damit zu tun, den heutigen Tag irgendwie zu überleben. Fakt ist, ich stehe mir eigentlich nur selbst im Weg. An einem Tag sind es die Selbstzweifel, die mich innerlich auffressen, an anderen Tagen, weil ich mal wieder auf der Flucht vor mir selbst bin.



Es ist an der Zeit. Zeit für eine Zwischenbilanz und vor allem eins. Meine Fragen ans Leben zu beantworten. Ich laufe zurück in mein Zimmer und spüre einen leichten Anflug von Motivation. Ich schnappe mir meinen Laptop, der immer noch zugeklappt auf dem Bett rumliegt und setze mich an meinen Schreibtisch. Ich spüre das Kribbeln in meinen Fingern, als sie die Tastatur berühren. Mir wird klar, dass ich endlich bereit bin. Ich bin bereit, meiner Geschichte ein Gesicht zu geben.


Ich habe gelesen, dass man für ein gutes Buch um die 150.000 Wörter braucht. Mal sehen, ob ich wirklich das Durchhaltevermögen besitze…


pictures by Memo Vithana


2 commentaires


felicitas-juliana
08 avr. 2023

Ich liebe deinen Schreibstil. Es gibt keinen Satz, der langweilig ist. Bin in der Geschichte gefesselt. Ich bewundere, wenn man so spannend schreiben kann. Ich kanns nicht

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alina.struckmann
22 févr. 2023

👏👏👏👏

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